Während die englische Redewendung “Please help yourself!” eine unmissverständliche Aufforderung ist, sich an etwas zu bedienen, in der Regel an etwas zu Essen oder zu Trinken, lässt die Übersetzung ins Deutsche verschiedene Interpretationen zu. Unter Umständen ist zunächst der Subtext des Sich-sich-Selbst-Ermächtigens erkennbar, bevor der Gedanke an die Umsicht und Hilfsbereitschaft gegenüber (gesellschaftlich) Benachteiligten greift.
„Bitte hilf dir selbst!“ könnte ganz unauffällig im Regal der Selbsthilfebücher stehen. Doch ist Achtsamkeit die Lösung für alles, oder Keimzelle einer weiteren milliardenschweren Industrie für Bücher, Online-Teachings, -Coachings und Magazine? Sind wir selbst schuld daran, dass wir uns gestresst fühlen, weil wir uns ablenken, non-stop auf unsere Screens und Displays starren und es nicht schaffen, aufmerksam, also “aware” uns und anderen gegenüber zu sein und im Hier und Jetzt zu leben? Und: muss ich da wirklich alleine durch? Oder hilft mir irgendein Leitsystem oder Leitfaden weiter?
Self-care ist und bleibt ein gut gemeinter Ansatzpunkt, äußere Einflüsse und soziale Umstände werden dabei allerdings häufig außer Acht gelassen. Nicht jede Person ist in der privilegierten Lage, sich durch den Konsum von (Selbst-)Hilfeprodukten auch wirklich selbst zu helfen. Es steht also zu vermuten, dass dieser Markt vielen, wenn nicht gar den meisten Menschen unzugänglich bleibt.
Jonas Leichsenrings Arbeit PLEASE HELP YOURSELF stellt neben der Aufforderung, seiner - mitunter unterdrückten - Stimme Gehör zu verschaffen - die Frage, wer jenen unterdrückten und diskriminierten Menschen in unserer Gesellschaft hilft, wenn sie nicht in der Lage sind, sich laut und wahrnehmbar zu äußern.
Der direkte (Orts-)Bezug zu dem Informationsstand des Galeriefests - floating im Juni 2021 in unmittelbarer Nähe zu Leichsenrings subversiver, bitter-ironischer Phrase PLEASE HELP YOURSELF (to some information) mag erst nach mehrfacher Lektüre ins Auge fallen. Auf Grund der baulichen Beschaffenheit der Ausstellungsfläche Weinberg sind mobilitätseingeschränkte Personen auf Hilfe angewiesen…
Mit Kreidespray in der Schrifttype DIN und einer Länge von etwa dreißig Metern auf den Rasen einer der Weinbergterrassen flüchtig und in intervenierendem Charakter aufgebracht, entzieht sich Leichsenrings Arbeit PLEASE HELP YOURSELF, trotz ihrer großen Sichtbarkeit und dem buchstäblichen Imperativ, der kategorischen Zuordnung oder Engführung hin zu nur einer Form der Lesbarkeit.
Diese Sichtbarmachung einer ambivalenten Aussage und ihre Vergänglichkeit an einem temporär gewählten Ort markieren bereits die zweite Arbeit des Künstlers in Form von Kreidelettern. Sie veranlasst die Besucher:innen dazu, einen Schritt zurück zu treten, sich möglicherweise auch eine Ebene hinauf zu begeben und den vermeintlichen Slogan zu reflektieren.

SASKIA APRIL KLUGE, FLORIAN BODE & JONAS LEICHSENRING
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