Wir leben in einer Gesellschaft, die maßgeblich durch die Industrialisierung beeinflusst ist. Die Standardisierungen in allen Bereichen formen unsere alltäglichen Objekte, infrastrukturelle Prozesse und unser Denken. Häufig
stellen wir diese Maßstäbe nicht einmal in Frage, weil wir uns schon so sehr daran gewöhnt haben.
Jonas Leichsenrings Arbeit Prototyp besteht aus insgesamt 12 unterschiedlich langen Linealen. Zwei der Lineale zeigen seine Körper- und Fußlänge, sie lassen sich als Selbstporträt des Künstlers verstehen. Die anderen Lineale haben die Längen verschiedener historischer Maßeinheiten, wie Yard oder Elle.
Die imperialen Maßeinheiten beziehen sich schon in ihrer Sprache auf Körperteile, deren Maße man festgelegt hat. Im Jahr 1101 führt Heinrich I. von England das Yard, der Abstand von seiner Nase bis zum Daumen seines ausgestreckten Armes, und das Inch, die Breite seines Daumens, ein. Schon 300 Jahre zuvor vereinheitlicht Karl der Große das Messwesen durch die Einheit Fuß - seine eigene Schuhgröße. Zahlreiche willkürliche Änderungen durch die mittelalterlichen Herrscher bewirken in der Folgezeit, dass jedes Reich seine eigenen Maße hat. Auch im Königreich England dauert es weitere 400 Jahre bis sich ein verbindlich gültiges Maß durchsetzt.
So sind die Einheiten entstanden, die noch heute maßgebend für uns sind. Festgelegt von Männern, als Zeichen
ihrer Macht, an den eigenen Körperteilen. Daher ist es auch nicht überraschend, dass das „Idealbild der menschlichen Schönheit“, da Vincis Vitruvianischer Mensch von 1490, einen männlichen Körper zeigt.
Jonas Leichsenrings Arbeit scheint sich perfekt einzufügen in eine Zeit, in der das Patriachart stärker denn je ins Wanken gekommen ist und in der „der Mann als Standard“ nicht ohne Weiteres hingenommen wird. Mit Prototyp
werden wir daran erinnert, dass es sich nach wie vor lohnt schon bestehende Strukturen zu hinterfragen und, dass die Abweichung vom Standard absolut nichts Negatives ist.
(Text: Saskia April Kluge)
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